Rat­haus

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Willkommen im politischen Herzen der Stadt! In diesem Gebäude, das bis ins frühe 19. Jahrhundert auch Schöffenhaus oder Schöffenkammer genannt wird, befinden sich die Büros des Bürgermeisters, der Schöffen und ihrer Kabinettsmitarbeitenden. Die politischen Fäden laufen schon seit dem 14. Jahrhundert im Rathaus zusammen. Neben den Sitzungen der Stadtverwaltung finden hier auch Pressekonferenzen, protokollarische Empfänge und standesamtliche Trauungen statt.

Das Rathaus ist ein komplexes Gebäude mit über 50 Räumen. Errichtet und erweitert wird es im Rhythmus der politischen Ereignisse; das Ergebnis ist eine über die Jahrhunderte gewachsene Melange aus unterschiedlichen Stilen und Einflüssen, vom spätgotischen Flamboyantstil des frühen 16. Jahrhunderts am Hoogpoort bis zur 100 Jahre jüngeren Renaissance-Fassade am Botermarkt. Die Bauarbeiten dauern bis weit ins 20. Jahrhundert an, und bis heute sind Restaurierungsarbeiten an diesem ikonischen Baudenkmal an der Tagesordnung.

Fassadenentwürfe der Brabanter Architekten Rombaut Keldermans und Dominicus de Waghemakere für das Genter Rathaus, frühes 16. Jahrhundert. STAM Gent

Die spätgotische Fassade aus dem frühen 16. Jahrhundert setzt sich deutlich von der jüngeren Renaissance-Fassade ab. ©Stadsarchief Gent

© Dienst stadsarcheologie en Monumentenzorg Gent

 

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Eingangshalle

Die großen Gemälde an den Wänden entstehen, als die Stadt 1635 für den feierlichen Einzug von Kardinal-Infant Ferdinand, Erzherzog der österreichischen Niederlande herausgeputzt wird. Auf einem der Gemälde wird Ferdinand, dem jüngeren Bruder des spanischen Königs Philipp IV., von der Jungfrau von Gent der Stadtschlüssel überreicht. Die Decke und das Kappengewölbe stammen aus dem 17. Jahrhundert, die übrige Einrichtung aus dem Jahr 1912.

Vom frühen 14. bis Ende des 18. Jahrhunderts dient der Raum als Gerichtssaal. Die Schöffen der Gedele sprechen hier Recht und betätigen sich als Friedensrichter. Die Stadtverwaltung umfasst in der Zeit zwei Schöffengerichte: die Schöffenbank der Keure, zuständig für die allgemeine Verwaltung und die Finanzen, und die Schöffenbank der Gedele, die über Erbschaften, Teilungen und Vormundschaften entscheidet.

 

Blick auf die Renaissance-Fassade des Schöffenhauses der Gedele, ca. 1880.

©Stadsarchief Gent

 

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Wartesaal

Der heutige Wartesaal des Rathauses dient ab 1616 als Kapelle, in der die Schöffen der Gedele die tägliche Messe besuchen, im späten 17. Jahrhundert als Gerichtskanzlei.

Der Kamin mit dem eingearbeiteten Gemälde von Jan van Cleef zeigt die Geschichte des Philosophen Zenon und gemahnt die Schöffen an ihre Schweigepflicht. Auf der linken Seite hängt ein Bildnis Karls V. von etwa 1545. Das Gemälde rechts wird 1902 von Felix Cogen gemalt und zeigt Lieven Bauwens, Bürgermeister von Gent. Dieser schmuggelt Ende des 18. Jahrhunderts die Spinnmaschine Mule Jenny von England auf das Festland und führt so den industriellen und wirtschaftlichen Wiederaufschwung der Stadt herbei.

 

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Pazifikationssaal

Dieser Prunksaal wird heute hauptsächlich für Festakte und andere Feierlichkeiten genutzt. Seinen Namen verdankt er dem Abkommen, mit dem sich die Nördlichen und Südlichen Niederlande im Jahr 1576 gegen den spanischen Besatzer zusammenschließen: die Genter Pazifikation. Eine Gedenktafel an der Wand erinnert an dieses historische Ereignis.

Auf dem Boden symbolisiert das Labyrinth aus weißen und schwarzen Fliesen die mühsame Suche nach Gerechtigkeit und Glück. Die kunstvollen Schnitzereien, die Holzdecke und das Kappengewölbe sind Teil der ursprünglichen spätgotischen Einrichtung, die Wappen der Grafen und Gräfinnen von Flandern hingegen stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert.

Von 1539 bis 1794 sprechen die Schöffen der Keure hier Recht. Mit dem Vertreter des Grafen nehmen sie dabei in den vierzehn gemeißelten Nischen Platz.

 

Allegorie der Genter Pazifikation, Zeichnung von Adriaen Pietersz. van de Venne, 1576

 

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Hochzeitskapelle

In der Hochzeitskapelle geben sich Genter Paare das Ja-Wort.

Im ursprünglichen Entwurf aus dem 16. Jahrhundert ist die Kapelle, die Johannes dem Täufer, dem Schutzpatron der Stadt, gewidmet ist, viel größer geplant. Dieser Entwurf wird aber nie ausgeführt, daraus erklärt sich das Missverhältnis zwischen Höhe und Breite des Raums. 1566 fällt fast die gesamte spätgotische Einrichtung dem Bildersturm zum Opfer.

Die Buntglasfenster, auf denen die Grafen von Flandern verewigt sind, werden für die Weltausstellung 1913 angefertigt. Über der Anklagebank hängt ein großes Gemälde von Karel Wauters, das Herzogin Maria von Burgund zeigt. Sie bittet für zwei ihrer Minister, die von den Genter Bürgern zu Unrecht des Hochverrats beschuldigt werden, um Gnade. Die Szene spielt sich vor dem Gravensteen ab.

Bis zum Ende des Ancien Régime besuchen die Schöffen der Keure hier täglich die Messe.

 

© Stadsarchief Gent

 

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Sitzungssaal


Die ehemalige Sakristei der Kapelle der Keure-Schöffen dienst heute als Sitzungssaal des Bürgermeister- und Schöffenkollegiums.

Die Wappen der Grafschaft Flandern, Karls V. und der Stadt Gent zieren den originalen spätgotischen Kamin. An der Decke hängen die Banner der Handwerkszünfte.

 

Jan-Baptiste Joseph Wynantz, Blick auf die Kapelle mit „Napoleontreppe“, 1820-1823. Dieser architektonische Eingriff zu Ehren von Napoleons Besuch an Gent im Jahr 1803 wird später wieder rückgängig gemacht.

©Stadsarchief Gent

 

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Österreichischer Salon

In diesem Raum finden regelmäßig Veranstaltungen und Ehrungen statt.

Über dem Kamin stellt ein Gemälde von Jan van Cleef aus dem 17. Jahrhundert allegorisch den Empfang König Philipps IV. durch die Staaten von Flandern dar. Der Beiname Österreichischer Salon geht auf die Bildnisse der Statthalter der Österreichischen Niederlande aus dem 18. Jahrhundert zurück: links vom Kamin Kaiserin Maria Theresia in einem Kleid aus flämischer Spitze, rechts ihr Sohn und Thronfolger Joseph II. Die prächtige Stuckdecke und die Holzvertäfelung entstehen im Rahmen der Neugestaltung des Salons in den Jahren 1728 bis 1729.

Im 16. Jahrhundert dient der Raum den Schöffen der Keure als Speisesaal. Später wird er als Abgeordnetenkammer der Staaten von Flandern genutzt, eine Art provinzialer Ständevertretung der Grafschaft Flandern.

 

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Gemeinderatssaal

Dieser Saal wird zwischen 1482 und 1484 erbaut und gehört zum ältesten Kern des Rathauses. Hier tagt jeden Monat der Genter Gemeinderat.

Die ursprüngliche spätgotische Einrichtung überlebt den Bildersturm von 1566 nicht. Im Jahr 1871 entwirft Stadtarchitekt Adolphe Pauli das heutige Interieur im Geiste des französischen Architekten Eugène Viollet-le-Duc. Die Jungfrau von Gent auf dem Kamin und den Buntglasfenstern symbolisiert die unbescholtene Stadt. Neben dem Kamin hängt ein Porträt Leopolds I. aus dem Jahr 1861 von Liéven de Winne. Das Gemälde von Gaspar de Craeyer über der Eingangstür zeigt die Krönung Kaiser Karls durch Papst Clemens VII. in Bologna. Es ist eines der Prunkstücke des großen Triumphbogens, der für den feierlichen Einzug von Kardinal-Infant Ferdinand im Jahr 1635 errichtet wird.

Ursprünglich verfassen die Schöffen der Keure in diesem Raum ihre Urteile und regeln Verwaltungsangelegenheiten.

Blick auf das Schöffenhaus der Keure, Zeichnung von Lieven Vander Schelden, 1584. STAM Gent

 

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Gotische Treppe

Als die Brabanter Baumeister Keldermans und de Waghemakere zwischen 1518 und 1539 den spätgotischen Flügel des Schöffenhauses der Keure errichten, entwerfen sie auch diese Treppe. Sie verbindet den mittleren Flügel aus dem späten 15. Jahrhundert, in dem sich im Erdgeschoss der Gemeinderatssaal und im ersten Stock der Arsenalsaal befindet, mit dem etwas jüngeren Schöffenhaus der Keure.

Die gotische Treppe verläuft um ein quadratisches Treppenauge. Die abwechselnde Verwendung von Ziegeln und weißem Stein in den Gewölben erzeugt eine lebhafte Atmosphäre und vermittelt einen für die Renaissance typischen Raumeindruck.

 

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Arsenalsaal

Dieser mittelalterliche Raum liegt über dem Gemeinderatssaal. Er ist das verborgene Juwel des Rathauses und wird nur selten genutzt.

Der monumentale gotische Kamin gehört zur ursprünglichen Einrichtung und ist vermutlich das Werk von Agnes vanden Bossche, die einer bekannten Genter Künstlerfamilie entstammt. Der andere Kamin ist eine Kopie aus dem 19. Jahrhundert.

Am 29. Februar 1484 weiht der sechsjährige Philipp der Schöne, Herzog von Burgund, diesen Raum mit einem Festbankett als Sitzungssaal der Kollation ein. Die Kollation oder der Breite Rat ist eine Art Gemeinderat avant la lettre, der hier tagt und die Schöffen berät. 1540 wird die Kollation von Kaiser Karl abgeschafft. Später dient der Raum als Theatersaal und ab dem 17. Jahrhundert als Waffenlager, daher auch sein heutiger Name: Arsenalsaal.

 

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Thronsaal

In diesem Festsaal finden heute Veranstaltungen und Festakte statt.

Die Bauarbeiten für diesen Raum beginnen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, werden aber schon 1539 wieder eingestellt. Die Fertigstellung erfolgt etwa ein Jahrhundert später, unter anderem mit dem beeindruckenden Kreuzrippengewölbe im Barockstil.

Der Saal ist nach dem Thronensemble benannt, das hier seit 1781 aufgestellt ist, ein Relikt der feierlichen Amtseinführung Kaiser Josephs II. auf dem Vrijdagmarkt. Der „Leibstuhl“ ist ein beachtliches Möbelstück mit integriertem Porzellantopf für die Notdurft.

An der Seitenwand hängen drei große Gemälde von Gaspar de Craeyer, die für den feierlichen Einzug von Kardinal-Infant Ferdinand im Jahr 1635 gemalt werden. Das Gemälde von Jan Baptist van Volxsom zeigt die Ernennung Karls VI. zum Grafen von Flandern auf dem Vrijdagmarkt im Jahr 1717.

Auf der anderen Seite des Throns ist Wilhelm von Oranien dargestellt, der die Freilassung von Katholiken fordert. Mathias van Bree malt das Gemälde am Anfang des 19. Jahrhunderts, um König Wilhelm I. zu religiöser Toleranz gegenüber seinen südniederländischen Untertanen anzuhalten.

Zwischen den Fenstern stehen die Skulpturen von Karl V. und seinen vier Großeltern: Maximilian von Österreich und Maria von Burgund sowie die sogenannten katholischen Könige Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien.

 

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Sitzungssaal

Der kleine Zwischenbau wird heute als Sitzungssaal genutzt und befindet sich in einem der ältesten Teile des Rathauses. Der spätgotische Schornstein, die Treppe mit Renaissance-Brüstung, der Fußboden und das Gewölbe stammen aus dem frühen 16. Jahrhundert. Der Raum dient im Lauf der Jahre unterschiedlichsten Zwecken, von Küche über Esszimmer bis zu Kanzlei und Rechenkammer der Schöffen der Keure.